"5 Sterne Plus" Standard: the reality
Ein Bericht, der die Wahrheit spricht. Meine Erfahrungen.
Miltenberg, 11. August 2025. Lesezeit ca 12 Minuten (hab mein ganzes Herz ausgeschüttet)
Zweiter Vertrag, der nicht anders hätte sein können: 98 Tage: 3 Monate und 6 Tage. 21 schwarze Strumpfhosen weniger, 24 Magnete mehr. Mit Kaffee aus Guatemala, Armband aus NewYork, Blusen aus Honfleur. Tacos in México, Eis in Italien, Fischbrötchen in Hamburg, Pastel de Nata in Lissabon und Kannelbulle in Schweden gegessen. In Los Angeles aufgestiegen, in Monaco gegangen. Im Juni 303 Stunden gearbeitet plus 41 Überstunden. Viel, ganz viel geweint, an allem gezweifelt, kurz davor zu gehen und alles aufzugeben. Dann doch wieder den Egoist gefunden und durchgezogen. Mund aufgemacht, mit dem Management kommuniziert. Restaurant gewechselt, Weine im Wert von 270€ verkauft und selber gekostet. Ok, stopp. Kurz Durchatmen.
Komplimente von Gästen bekommen, die einem Bestätigung geben. Indem was man macht, was man tut. Ich sei noch so jung und sie finden das alles sehr bewundernswert was wir hier leisten. Wertschätzung. Ja Schatzi, wir arbeiten teilweise mehr als 11 Stunden am Tag damit euer Reisepreis gerechtfertigt wird. Viel gesehen von der Welt: Amerikas Protz, Norwegens Natur, Europas Schönheit. Anstrengende und Temperamentvolle Kollegen gehabt. Die mich ein egoistisches Stück Scheiße genannt haben. Oder die, die für immer Freunde bleiben. Leandra, Maya, Desiree meine Schätze. Die mich aufrappeln wenn ich weine und mich wieder runterbringen. Gäste, die ich in Wien wieder treffe, Kontakte, wenn ich dort irgendwas brauche.
Tolle Bilder geschossen, viel zu viele. Kurzzeitinfluencerin geworden, mein Herz geöffnet. Entdeckt, wer und was ich sein will. Wo ich mich in Zukunft sehe. Nicht im 5 Sterne Service, keine Sorge. Mir doch egal ob das Käsemesser 3mm größer ist als das Buttermesser. Sondern als Journalistin Geschichten erzählen. Die Wahrheit berichten. Von verschiedenen Perspektiven.
Es gibt immer mehrere Seiten: Die Servicekraft lacht, hat Spaß an der Arbeit, ist eine süße Maus. Dabei hat sie nur 4h in der Nacht geschlafen (die Gedanken kreisten zu sehr) und vom Headwaiter gerade ihre wertvolle halbe Stunde Pause gestrichen bekommen. Der auch zu ihr meinte, sie arbeitet viel zu langsam, macht schlechten Service, kann ihre Station nicht handeln und wirft das Team zurück. Die sagen, was für Idioten hier eingestellt werden. Vor ihr. Sie war gemeint. Sie soll der Idiot sein. Und sie denkt: Bruder, ich bin 19 und habe Gefühle, ist das was neues für dich?
Wisst ihr, ich bin noch jung. Komme frisch vom Abitur. Die einzige Erfahrung die ich habe ist, dass ich in einem Bistro gearbeitet habe, wo ich Pizza, Burger und Bier serviert habe. That's it. Ich habe keine Ahnung von Wein. Keine Ahnung wie groß die Vorspeisengabel ist. Keine Ahnung ob der Chardonnay Cloud Bay aus Neuseeland im Stahltank oder Holzfass gereift ist. Keine Ahnung woran man amerikanische oder französische Austern unterscheidet. Oder dass Chateaubriand ein Fleisch ist. Aber trotzdem war ich hier und dort. Und trotzdem verlangen sie, ich soll alles wissen. Ohne Ausbildung, ohne nix.
Wir Kellner sind immer freundlich, müssen es sein. Sind die Mehrheit auf diesem Schiff, aber werden wie die tiefste Unterklasse behandelt. Dürfen den Gästebereich niemals in Privatklamotten betreten. Doch der Gast weiß viel zu vieles nicht. Dass sie es oft, sehr oft nicht essen schaffen. Zu wenig schlafen, zu wenig Pause zwischen drin. Immer stellt man sich die Frage: Bett oder CrewMess? Wie oft habe ich mich von Kabinensnacks à la Studentenfutter ernährt. Magentabletten waren meine Besties. Vom Sport machen brauch ich gar nicht erst zu reden. Not possible. Zu wenig Kraft. Schaut sich im Spiegel an, fühlt sich unwohl in der Uniform. Altmodisch mit Bluse und Rock. Das ist überhaupt nicht sie. Ganz und gar nicht. Wenn noch ein Kollege um die Ecke kommt und meint "oh you are getting fat" hört es ganz auf. Selbstbewusstsein wieder voll am Boden. Danke dafür.
Drama ist hier ganz groß geschrieben. Wegen allem. Gläser haben Wasserflecken, Tasse und Untertasse passen nicht zusammen, Wasser nicht mit einer Serviette eingeschenkt. Die Suitennummer hätte ich wissen sollen, den Namen dieser Dame musst du drauf haben. Pass auf, ihr darfst du kein Koriander servieren! Tablet richtig halten, gerade stehen, motiviert ausschauen. Nicht zu viel privates fragen, immer höflich sein. Den Standard erfüllen, weil "5 Sterne Plus Standard" ihr wisst schon. Und wehe der Frischkäse beim Frühstücksbuffet ist 5 Minuten vor Ende leer. Das ist egal. Bitte nochmal auffüllen. Komplett bis oben hin. Wenn man hier dann eins und eins zusammenzählen kann, muss man sich im Klaren werden, was alles weggeschmissen wird. Viel zu viel. Ungelogen manchmal mehr als das, was gegessen wird. Nichts wird wieder verwendet. Alles landet im Müll. Obst, frischer norwegischer Lachs, kiloweise qualitatives Steak. Rührei, Brot, Pommes. Während Team Servicekräfte abends ausgetrocknetes Brot mit Butter essen muss, wird kiloweise weggeschmissen. Tonnenweise. Und wenn du ja beim Essen, und wenn es nur eine winzige Brombeere ist, während des Arbeitens erwischt wirst, möchte man nicht in deiner Haut stecken - ob die Frucht gleich weggeschmissen wird oder nicht, spielt keine Rolle. Aber "5 Sterne plus Standard", ihr wisst schon.
Man tut ALLES für die Gäste. Ein Nein gibt es nicht. Darf es nicht geben. Wird es nicht geben, wenn man pro Reise 20.000 Euro aufwärts ohne Getränke und Flug zahlt. Oder Herr und Frau Müller an einem Abend innerhalb 3 Stunden mein Monatsgehalt mit DomPerignon Sonderedition trinken und Weintasting mit den teuersten Rotweinen an Bord machen. Yolo.
Sie möchten Ihre Waffel mit glutenfreiem Teig? Wird geordert. Sie möchten einen Tee mit frischem Ingwer und Minze, 3 Scheiben Zitronen und Honig? Kein Problem, hole ich sofort. Sie möchten, dass ich für sie zum Pool laufe und ihnen eine heiße Waffel mit Kirschgrütze, ein Klecks Sahne und zwei separaten Kugeln im Porzellanbechern bringe? Warten Sie einen Moment.
Trotzdem: so tolle Gäste, die nett sind, freundlich, verständlich sind, auch von unten angefangen haben, schon viel erlebt haben, mich als ihre Enkelin oder Tochter sehen. Mir 50€ geben und sagen, machen sie sich einen schönen Abend in Ibiza mit ihren Freundinnen. Süß oder?
Papas, die mir ihre Nummern geben und sagen ich soll mich bloß melden wenn ich in Wien was brauche. Gäste, die mir Luxusklamotten meiner Wahl nach Hause geschickt haben. Die mir Champagner schenken. Generell Geschenke machen. Mir eine Cappie aus Miami mitbringen, weil die Crew Ausgangssperre hatte. Die mich vermissen, sagen ich habe ihre Reise zu was besonderem gemacht und mir jetzt auf Instagram folgen und fleißig auf meine Storys antworten. Gespannt, auf meinen weiteren Werdegang sind. Wie ich mir nur bei 500 Gästen ihre Suitennummer merken kann? Oder dass sie ihren Cappuccino gerne mit Mandelmilch trinkt? Alles easy peasy für mich. Es gibt nichts schöneres, als glückliche Gäste zu haben, die dir das auch zeigen.
Und die Städte, wo soll ich anfangen? LA, BigApple, Panama. San Blas Inseln, das Paradies auf Erden. CostaRicas Strände, Norwegens Fjorden, das viele grüne. Stockholms Flair, die süßen französischen Häfen. Das Einlaufen in New York, wo um 4:50 Uhr der Wecker geklingelt hat, an der Freiheitsstatue vorbei. Die Ausfahrt aus Menorca, die unfassbar schön war. Die Overnights die wir hatten: besoffen von Vodka in Lissabon, im Club in Antwerpen, nachts auf dem Time Square in New York. Im Patcha in Ibiza, auf den Straßen St. Tropez mitten in der High Society. Das Upper Class Leben gesehen. Jeder protzt mit dem Auto, den Botoxlippen oder der Yacht.
Highlight war das heimkommen abends in die Kabine. Andere gehen in die CrewBar und gönnen sich die Bierchen, ich war immer Team Bett, Instastorys posten und bei Tagesschau einschlafen. Wenn's mit dem schlafen überhaupt geklappt hat. 5 Stunden waren tagesform. Aber noch besser war, wenn Désirée um Mitternacht fertig in unsere Kabine stolpert und wir uns 60min intensiv, ganz intensiv über das Schiff auskotzen. Was hier falsch läuft, wie doof manche Gäste sind, dass die Kollegen sich mal raffen sollen, ein bisschen Respekt haben sollen. Zu zweit hätten wir das Schiff entern können. Ich vermisse meine Freundinnen.
Oder Leandra und ich, unser Kamillentalk. Ich habs geliebt. Zur Aufklärung: Kamillentee + DeepTalk = Kamillentalk. Den Tag nochmal Revue passieren lassen und dabei Laugenbrötchen und Baguette mit Butter (oder das, was in der CrewMess halt nach Mitternacht noch so übrig bleibt) reinstopfen. Über Gäste lästern. "An Tisch 7 die Dame hatte so ein schönes Kleid an, wow!" "Und so gut erzogen die zwei Kids von Tisch 14!" "Hat dir Herr Schmitt auch ein 10er zugesteckt?". Und dann ins Bettchen. Und beten, dass ich schlafen kann.
Andere Kollegen würden vielleicht sagen es war doch gar nicht so schlimm. Aber die anderen Kollegen wurden auch nicht unfair behandelt. Haben gespürt, dass sie nicht erwünscht sind. Fehl am Platz sind. Ihnen gesagt wird, was für einen schlechten Job sie machen. Ich bin eine Person, die alles hinterfragt. Das System verbessern möchte. Nachfragt, wenn etwas keinen Sinn für mich macht. Aber das ist hier nicht erwünscht. Einfach machen ohne nachzudenken. Das bin ich aber nicht. Deswegen habe ich mir auch manchmal sehr schwer getan.
Aber dass NIE, wirklich NIE ein Gast unzufrieden das Restaurant verlassen hat, wenn er von mir bedient wurde, war für das Management irrelevant. Im Vordergrund (falsch wie ich finde) steht, dass meine Haare ja streng zusammengebunden sind. Der eine Krümel oben auf der Kaffeemaschine entfernt wird. Dies das Ananas. Drama Lama.
Wobei das doch eigentlich im Vordergrund stehen sollte: Gästezufriedenheit? Wenn dann aber mal das Gegenteil passiert und du eine Beschwerde bekommst, sitzt du (so schnell kannst du nicht mal schauen) im Office und darfst dich erklären. Warum nicht mal loben, wenn etwas positives am Ende der Reise im Gästefragebogen über dich steht?
Und trotzdem, fcking trotzdem bereue ich meinen Aufstieg nicht. 3 Monate habe ich selten so intensiv erlebt. Intensiv geweint und intensiv gelacht. Mich gefreut über jeden Kaffee oder jedes Eis. Jede Seitenstraße, die ich neu entdecken konnte. Jeder kleinste Sonnenstrahl, der mich glücklicher gemacht hat. Jeder Landgang, der nie gleich war: mal nur ein Käffchen auf entspannt, mal eine richtige CityTour, mal mit dem Escooter die Stadt unsicher gemacht, mal am Strand mit einer CokeZero gebräunt.
Ich hab so viel gesehen. Und bin unfassbar stolz auf mich. Dieses Schiff hat ein Teil meiner Seele geklaut, mich wiederum noch stärker gemacht und mir bewiesen, was ich alles leisten kann. Dass ich viel mehr drauf habe als eine Servicekraft zu sein. Dass mein Charakter für was anderes gemacht ist. Meine Offenheit mich noch sehr weit bringen wird. Dass ich weit aus mehr Wert bin, als hinter der Eierstation zu stehen. Dass dieses Schiff einem nichts zurück gibt. Jeder, der seinen Vertrag auf diesem Schiff beendet, verdient den größten Respekt. Das ist ein Knochenjob hier. Von der psychischen Belastung und dem Druck ganz zu schweigen.
Aber hey, man lernt daraus. Ich habe soooo tolle Leute kennengelernt. Bin um die halbe Welt gereist. Bin gewachsen (Gott sei dank nur an Erfahrungen und nicht an Körpergröße - 1,78m langt für ein Mädchen). Ich werde meinen Weg gehen. Weiß jetzt, dass ich so viel mehr Wert bin, so viel mehr Potenzial habe. Dass im realen Lebe jeder mindestens einen Tag in der Woche frei haben sollte. Man Zeit haben sollte in Ruhe zu essen. Seinen Hobbys nachgehen kann. Privates und Arbeit trennen kann. Die Chance haben sollte, mehr als 6 Stunden zu schlafen.
Das wars. Genug gemeckert. Jetzt wieder positive Energie. Kurz durchatmen und wieder lachen, ja?
Jetzt wartet ein komplett neuer Lebensabschnitt voller neuer Leute, eine neue Umgebung und meine erste Wohnung mit meinen Besties auf mich. Und die Stadt Wien in die ich mich so verliebt habe ....
Vielen Dank, dass ihr mir zugehört habt. Und bis zum Ende gelesen habt. Das bedeutet mir wirklich viel. Und es war mir wichtig, das alles mal zu erzählen...🥹
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Ey, ich möchte dich wirklich nicht abschrecken. Das was ich erlebt habe, trifft nicht auf jeden zu.
Für MeinSchiff zum Beispiel war ich wie gemacht, für den zweiten Vertrag eher weniger. Aber das ist in Ordnung.
MeinSchiff waren die besten 5 Monate, die ich je erlebt habe. Und ich würde es jederzeit wieder machen! Wenn du Fragen zum Leben auf einem Kreuzfahrtschiff hast, kannst du mir gerne per Insta schreiben.
Ich bin froh, wenn ich helfen kann < 3
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